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Interview mit der agfam Referentin Annette Freund

Annette Freund ist Pharmazeutin, hat einen MBA und eine Ausbildung als systemischer Wirtschaftscoach.  Sie verfügt über 25 Jahre Expertise im Health Care Sektor, davon über 20 Jahre im Marketing in der Pharma/Biotech Branche und zusätzlich über 10 Jahre Coaching Erfahrung. Nebst ihrer Tätigkeit als Consultant, hat sie verschiedene Lehraufträge und arbeitet immer noch in der Apotheke.

 

Mit dieser einzigartigen Dreier-Kombination aus Wirtschaft, Pharmazie und Coaching sieht sie sich als „Brücken-Bauerin“ in Sinne von der Vermittlung zwischen verschiedenen Denkweisen. 

 

agfam:  Du hast einen sehr spannenden Werdegang, kannst du uns mehr darüber erzählen?  Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die du im Rahmen deiner verschiedenen Ausbildungen und Tätigkeiten gewonnen hast? Was möchtest du den Kolleg*innen  mit auf den Weg geben?

 

AF: Was mich begeistert, ist, mich am Puls der Zeit weiterzuentwickeln: Als vor 25 Jahren nach meinem Pharmaziestudium die ersten Gesundheitsreformen mit Kosteneinsparungen und düstere Zukunftsprognosen für die Apothekenlandschaft kamen, habe ich mir gedacht: „ Es ist gut und wichtig als Apotheker*innen mehr über Wirtschaft zu wissen und habe mein MBA gemacht.“ Meine Begeisterung für Marketing und Personalmanagement haben mich dann in die Pharmaindustrie geführt. Firmeninterne Führungskurse für „High Potentials“ weckten in mir die Neugier, eine Ausbildung zum Systemischen Business Coach zu machen.

 

Diese Kompetenzübergreifende Expertise ist eine meiner wichtigsten Stärken, da es mich in die Lage versetzt aus verschiedenen Perspektiven auf ein Thema zu schauen und schnell die Essenz zu erfassen und dadurch auf neue Lösungen und Wege zu kommen.

 

Was ich den Kolleg*innen gerne mit auf den Weg gebe ist die Erkenntnis, dass unser menschliches Potential viel grösser ist, als das was wir in jedem Augenblick nutzen. Um dazu Zugang zu bekommen, dürfen wir unsere Komfortzonen verlassen. Dafür braucht es Offenheit für neue Inspirationen und Mut zur Umsetzung.

 

agfam: Unser Beruf ist im Wandel, vom Arzneimittelhersteller oder -distributor hin zum dienstleistenden Partner im interprofessionellen Setting. Du bist immer noch regelmässig in der Apotheke tätig. Erlebst du diesen Wandel im Alltag? Was braucht es aus deiner Sicht, damit der Wandel gelingt? Wo siehst du Chancen und wo Hürden?

 

Eins meiner Lieblingsthemen in meiner Consultingarbeit ist das Thema Werte- und Kulturwandel in Organisationen.

Hier gibt es kein besser oder schlechter, sondern wichtig ist, dass der Wandel zum Markt passt.

Die Apotheker*innen sind immer weniger in ihrer Kompetenz der Eigenherstellung von Arzneimitteln gefragt, gleichzeitig sinken die Margen auf verordneten Produkten stetig. Darüber kann man jammern oder sich fragen: „Was braucht mein Kunde wirklich? Womit kann ich meinem Kunden einen Mehrwert liefern?“

 

Gleichzeitig reicht das reine Angebot nicht aus, sondern Wandel geschieht immer von innen nach aussen. Um im Aussen als Dienstleister wahrgenommen zu werden, braucht es die eigene innere Haltung und das Bewusstsein über den Wert meiner Leistung.

 

Aus meiner Sicht steht eine breite Palette von möglichen Dienstleistungen zur Auswahl vom Blutdruckmessen bis hin zur Einrichtung einer „Mini Clinic“ in der Offizin, wozu es bereits erste Ansätze in der Schweiz gibt. Hier gilt es auszuwählen: Was macht für die Apotheke und die Kunden am meisten Sinn? Sowie was würde mir besonders Freude machen?

 

Eine besondere Rolle und Stärke der Apotheker*innen sehe ich in der interdisziplinären Koordination.

Der Bereich zwischen Selbstmedikation und notwendigen Arztbesuch bietet den Apotheker*innen einen breiten Beratungs-Spielraum, der aus meiner Sicht bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Also lasst uns das Potential nutzen.

 

agfam: Die Coronapandemie hat uns seit einem Jahr nun fest im Griff. Bei allem Ärger und Leid, jede Krise birgt auch Chancen. Was haben wir aus deiner Sicht in der Krise gelernt und welche Möglichkeiten haben sich aufgetan, die wir unbedingt weiterverfolgen sollten?

 

AF: Als Visionärin und in meiner Funktion als Market Insights Consultant beschäftige ich mich u.a. mit Megatrends und Zukunftsentwicklung.

 

Der Top 1 Megatrend „Gesundheit“ hat im Rahmen von Corona nochmals an Bedeutung gewonnen, wobei die sich Ausrichtung und Dynamik der Subtrends stark verändert hat. Vom Wellbeing zur Sicherheit, was auch die Bedeutung und die Auslastung der verschiedenen Funktionen im Gesundheitswesen gezeigt hat und zu mehr gesellschaftlicher Wertschätzung geführt hat. An der systemischen Integration und Ausgestaltung dieser Wertschätzung dürfen wir als Gesellschaft noch arbeiten: Ob klatschen da ausreicht?

 

Auch Apotheken haben von dieser positiven Wahrnehmung profitiert, nun gilt es diesen Rückenwind auch in die Zukunft mitzunehmen, beispielsweise:

  • Kunden sind mehr bereit in ihre eignen Gesundheit zu investieren, z.B. in die Immunstärkung oder jetzt im Frühjahr ins Fasten und Detox-kuren. Der OTC-Bereich hat insgesamt an Bedeutung gewonnen.
  • Apotheker*innen werden als kompetente Gesundheitsberater*innen wahrgenommen.
  • Auch der Megatrend „Silver Society“ hat sich durch Corona verändert. Gesellschaftlich sind wir bereit das Alter zu schützen: Weg vom Anti-Aging hin zum Pro-Aging. Hier bieten sich in der Apotheke aus meiner Sicht eine Reihe von Möglichkeiten in der Unterstützung von chronisch Kranken und multimorbiden Patienten an.

Ich freue mich schon darauf im kommenden Workshop die Megatrends mit den Apotheker*innen zu beleuchten und daraus weitere Chancen abzuleiten.

 

agfam: Du hast auch Mandate in der Pharma-Industrie, was sind dort die grossen Themen und welche Parallele siehst du mit der Offizin?

 

AF: Ja ich begleite die Pharma-Industrie in 3 Bereichen als Commercial Strategy Consultant, in der Führungskräfte- und Team-Entwicklung und als Executive Coach. In der aktuellen Situation 2021 sind natürlich gemeinsame Themen „Testen“ und „Impfen“. 

 

Grundsätzlich richtet sich die Pharma-Industrie auf die Gegebenheiten des Marktes, die Bedürfnisse der Kunden und mögliche Zukunftsentwicklungen aus. Dies gilt sowohl für die bestehenden Produkte als auch für Innovationen. In der Frage nach zusätzlichen Dienstleistungen für die Kunden sehe ich eine Parallele zur Offizin, sowie in der Bedeutung des Megatrends Digital Health. In ihrer Proaktivität bzgl. Innovationen und der Führungskräfte- sowie Kultur-entwicklung der Unternehmen nehme ich die Pharmaindustrie einige Schritte weiter voraus wahr.

 

Ein spannendes Thema, was bereits vor der Krise relevant war und jetzt noch an Bedeutung gewonnen hat, ist das Thema Resilienz. Individuelle Resilienz, Resilienz als Team und auch Resilienz für das Unternehmen. Was vor einigen Jahren mit „Work-Life-Balance“ noch als privates Wellness-Thema belächelt wurde, ist heute ein entscheidender Erfolgsfaktor geworden. Resilienz scheint mir für die Offizin und auch für andere Funktionen im Gesundheitswesen ebenfalls zum wesentlichen Schlüsselfaktor zu werden, da viele Menschen in diesen Berufen nun seit über einem Jahr kapazitäts- und kräfte-mässig am Limit laufen.

 

Hier schliesst sich der Kreis zu gesellschaftlich-strukturellen Fragen und Corona Learnings: „Wie wichtig ist uns das Thema Gesundheit wirklich und sind wir bereit uns einen 10% Puffer zu leisten?

 

Agfam: Am 15. April leitest du ein Live-Webinar bei agfam «2021: Aufbruch in eine neue Welt? Die Zukunft heute gestalten» Kannst du drei Gründe nennen, warum sich dieser Kurs gerade jetzt besonders lohnt für die Apotheker*innen?

 

Ich freue mich sehr auf das Live-Webinar und bin sehr gespannt auf unseren Austausch:

1.     Lernen Sie, was es braucht, um sich als Dienstleister zu positionieren.

2.     Erfahren Sie, welche Megatrends sich gerade sehr dynamisch entwickeln und wie Sie diese nutzen können.

3.     Im interaktiven Austausch lernen alle Teilnehmer voneinander werden zu aktiven Gestaltern im Gesundheitswesen. 

 

agfam: Vielen Dank für das Interview

 

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